Die Grössten Irrtümer III: Technik
Irrtum Nr. 1: Je älter ein Instrument ist, desto wertvoller ist es
Irrtum Nr. 2: Risse im Resonanzboden machen ein Instrument unbrauchbar
Irrtum Nr. 3: Die einzige Möglichkeit Klavier zu spielen, ohne die Nachbarn zu stören
Irrtum Nr. 4: Der vollwertige Klavier-Ersatz
Irrtum Nr. 5: Ein Silent-System ruiniert den Anschlag des Klaviers
Irrtum Nr. 6: Jeder Klavierbauer muss selbstständig ein Klavier bauen können
Irrtum Nr. 7: Ich kann das Alter meines Instrumentes nicht feststellen, es gibt keine Seriennummer
Irrtum Nr. 1: Je älter ein Instrument ist, desto wertvoller ist es
Das Stradivari-Beispiel wird immer wieder gerne angeführt, aber ein Klavier ist nicht mit einer Geige zu vergleichen: 1.) Der mechanische Anteil und damit dessen Verschleiß ist bei Klavieren wesentlich größer. 2.) Die rund 220 Stahlsaiten, die außerdem ein z. T. Vielfaches an Durchmesser und Zugkraft aufweisen, belasten den hölzernen Klangkörper ungleich höher und führen zu einem kontinuierlichen Nachlassen seiner Spannkräfte und damit letztlich zu einem Verlust der Klangqualität.
Wenn dennoch eine typisch „alte“ Klangcharakteristik als reizvoll empfunden wird, ist dies selbstverständlich ein mehr als ausreichender Grund, solche Instrumente zu erhalten oder zu restaurieren, eine gute und technisch brauchbare Substanz vorausgesetzt. Zumal sie als Möbelstücke, wenn auch weniger wertvoll im Vergleich zu wirklichen Antiquitäten, nicht zu ersetzen sind.
Irrtum Nr. 2: Risse im Resonanzboden machen ein Instrument unbrauchbar
Oft liegt eine Verwechslung vor, nämlich von Resonanzbodenrissen mit Plattenbrüchen. Letztere sind selten, aber wenn sie auftreten, kann dies in der Tat den Totalschaden für das Instrument bedeuten – muss es aber nicht! Es kommt darauf an, ob die Statik betroffen ist oder nicht, das kann nur ein Klavierbauer beurteilen.
Weit verbreitet sind Stegrisse, die zu losen Stegstiften und in weniger schweren Fällen „nur“ zu unreinen Tönen führen. Besonders unerfreulich aber sind Stimmstockrisse, weil sie unmittelbar die Stimmbarkeit insgesamt gefährden. Da Stimmstockschäden in der Regel bei Instrumenten auftreten, die auch sonst von minderer Qualität sind, lohnt sich fast nie der immense Aufwand, den der nun fällige Austausch des kompletten Stimmstocks mit all seinen Folgekosten verursacht.
Dagegen sind einzelne Resonanzbodenrisse, wie sie vor allem bei alten Instrumenten häufig anzutreffen sind, für sich alleine betrachtet meistens harmlos. Die ihnen oft zugeschriebenen Nebengeräusche wie Klirren oder Scheppern sind in Wirklichkeit meistens auf andere Ursachen wie lose Rippen oder Bodenlager zurückzuführen. So lange jedoch die akustische Anlage mit Wirbeln und Besaitung ansonsten intakt ist, haben einzelne Risse selbst erstaunlich wenige Auswirkungen auf den Klang.
Aber auch wenn sich aus vorhandenen Rissen alleine noch nicht unbedingt ein Handlungsbedarf ergibt, müssen sie bei einer anstehenden Überholung natürlich repariert werden.
Irrtum Nr. 3: Die einzige Möglichkeit Klavier zu spielen, ohne die Nachbarn zu stören, ist ein E-Piano.
Falsch, denn es gibt mehrere Möglichkeiten, die akustische Lautstärke zu reduzieren:
a) Spezielle Untersetzer, die den Körperschall dämpfen. Diese bringen eine gewisse Entlastung für die Nachbarn, allerdings klingt das Instrument dann immer noch im Raum, und das nun einmal mit mehr als nur Zimmerlautstärke.
b) Moderator-Einrichtung, das ist ein Filzstreifen, der auf einer beweglichen Leiste zwischen Hämmer und Saiten gelegt wird. Eine altbewährte und preiswerte Methode, die Lautstärke subjektiv um ca. die Hälfte zu reduzieren. Allerdings wird der Klang stark beeinträchtigt, weil sehr dumpf.
c) Einbau eines Stummschaltungssystems (Silent-Einrichtung). Die wirksamste, wenn auch aufwändigste Methode: Die eingebaute Stoppleiste fängt die Hämmer kurz vor dem Anschlag der Saiten ab, so dass kein Ton mehr nach außen dringt (wenn man von dem leichten Betriebsgeräusch der Tasten und Hämmer selbst absieht). Gleichzeitig bewirkt die eingebaute Elektronik, dass der (separat erzeugte) Klang über Kopfhörer oder auch Lautsprecher wiedergegeben wird.
Im Prinzip handelt es sich auch um ein E-Piano, das aber zusätzlich in das vorhandene Instrument eingebaut wird. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass das gewohnte Anschlagsgefühl sich nicht oder kaum spürbar verändert und man jederzeit zum normalen akustischen Klavierspiel zurückkehren kann.
Irrtum Nr. 4: Ein E-Piano ist ein vollwertiger Klavier-Ersatz
Die wirklich guten E-Pianos sind teurer als ein normales akustisches Mittelklasse-Klavier, sogar ein Silent-Instrument ist in diesem Preissegment schon zu bekommen. Das liegt nicht nur an den aufwändigen Sound-Systemen dieser Modelle: Um das Anschlagsgefühl eines echten Klaviers oder Flügels so authentisch wie möglich zu imitieren, sind alle beweglichen Teile daraus komplett vorhanden – nur dass es keine Saiten gibt, die von den Hämmern angeschlagen werden. Es reicht eben doch nicht, nur einen kleinen Schwungkörper unter den Tasten zu montieren wie bei den meisten sogenannten „gewichteten“ Tastaturen.
Trotzdem wird der Dynamikumfang eines akustischen Klaviers immer noch nicht erreicht. Dabei sind die teuren Spitzenmodelle sogar noch relativ selten, d. h. die ganz normalen E-Pianos bieten ja noch nicht einmal deren Anschlagskultur, geschweige denn die Klangfarben-Vielfalt eines richtigen Klaviers, das sich ja auch völlig anders anhören kann, je nachdem wer gerade auf dem Instrument spielt.
Es geht ja nicht nur um laut oder leise, ein differenziertes Formen des Tons ist bei keinem Digitalpiano möglich, sie klingen immer gleich, egal wie man anschlägt. Da helfen auch keine noch so aufwändigen Konzertflügel-Samples mit Filtern und allem Drum und Dran: Auf Dauer wird es langweilig, weil man den Ton nicht physisch kontrollieren kann!
Böse Zungen bezeichnen daher das E-Piano auch als den legitimen Nachfolger der Heimorgel…
Irrtum Nr. 5: Ein Silent-System ruiniert den Anschlag des Klaviers
„Auslösung“ ist das Reizwort, das durch die Internetforen geistert. Der etwas irreführende Begriff bezeichnet den Punkt, an dem die Hammerbewegung quasi von der der Taste entkoppelt wird. Dies ist nötig, damit der Hammer auch bei gedrückt gehaltener Taste von der Saite zurückfallen kann, sonst würde er den gerade erst angeschlagenen Ton ja gleich wieder abdämpfen.
Dass die Auslösung bei Klavieren weiter eingestellt werden muss, darauf haben sich die Gegner von Silent-Systemen eingeschossen. Die ideale Auslösung von ca. 2mm vor der Saite dürfte aber für die meisten Instrumente auch jetzt schon nicht zutreffen. Vergessen wird nämlich, dass fast alle modernen Klaviere heute einen Moderator (mechanische Leisestell-Einrichtung) haben und auch dadurch die Auslösung schon weiter eingestellt ist. Auch ältere Klaviere lösen mit der Zeit von selbst weiter aus, wenn sie nicht neu reguliert wurden.
Wenn daher für einen Betrieb mit Stoppleiste die Auslösung z. B. auf 5 mm eingestellt werden muss, wird in der Regel noch keine dramatische Verschlechterung der Spielart damit verbunden sein. Werte von 8 oder sogar 10 mm müssen nur bei sehr kräftigem Anschlag in Kauf genommen werden. Aber wer auf einen sehr großen Dynamikumfang Wert legt (der digital ohnehin kaum vollständig reproduziert werden kann), wird nach Möglichkeit akustisch spielen – und das Silent-System so nutzen, wie es gedacht ist: Als Zusatzeinrichtung für das Instrument, dessen normale Funktion damit nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden soll.
Bei Flügeln liegt der Fall etwas anders: Hier beinträchtigt eine weiter eingestellte Auslösung stärker spürbar die Dynamik und die Repitition im Piano und Pianissimo. Deshalb gibt es z. B. bei Yamaha die sogenannte „quick escape“ Funktion, die bewirkt, dass die Auslösung nur im Silent-Modus weiter eingestellt ist, beim akustischen Spielen aber unverändert bleibt, auch „doppelte Auslösung“ genannt.
Inzwischen können auch nachrüstbare Silent-Systeme in Flügeln entsprechend durch Einbau einer doppelten Auslösung optimiert werden („Mute Rail Optimizer“, erhältlich bei Jahn-Pianoteile*). Entwickler: Martin Deuker.
*Lieferung nur an Klavierbau-Fachbetriebe, die den Einbau für ihre Kunden vornehmen
Irrtum Nr. 6: Jeder Klavierbauer muss selbstständig ein Klavier bauen können
Bis vor einigen Jahren galt noch der paradoxe Zustand, dass jemand um selbständig werden zu können, Fähigkeiten nachweisen musste, die er als einzelner Selbstständiger gar nicht hätte in der Praxis umsetzen können: Den Entwurf eines eigenen Klaviers und dessen komplette Verwirklichung. Denn dazu braucht man schlicht eine Fabrik (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Der selbstständige Klavierbauer von heute, ob mit oder ohne Meisterbrief (nicht mehr zwingend vorgeschrieben), ist nämlich de facto längst kein Klavierbauer mehr, er betätigt sich (zumindest im normalen Tagesgeschäft) als Klaviertechniker – eine Berufsbezeichnung im übrigen, die so oder ähnlich außerhalb des deutschen Sprachraumes fast überall gebräuchlich ist.
Irrtum Nr. 7: Ich kann das Alter meines Instrumentes nicht feststellen, es gibt keine Seriennummer
Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat jedes Instrument hat eine Seriennummer, oftmals stellt sich nur das Problem, diese auch im Instrument zu finden.
Die typischen Stellen bei Klavieren und Flügeln sehen Sie hier. Sollte die Nummer etwa bei einer Überholung herausgeschliffen oder überlackiert worden sein, hilft evtl. ein Blick auf die Rückseite von Gehäuseteilen wie Klaviaturklappe etc, wo die Nummern manchmal mit Bleistift vermerkt sind, oder auf die Seriennummern der Mechanikhersteller (bei Renner steht sogar das Herstellungsdatum auf der Rückseite),
Das alles hilft natürlich nur, wenn das Baujahr-Verzeichnis des Herstellers in einer der üblichen Quellen verfügbar ist. Aber leider sucht man die Nummernlisten kleiner Hersteller in den meisten einschlägigen Publikationen vergeblich. So bleibt oft nur eine Schätzung, etwa mit Hilfe von Fotos.
Bei heute noch existierenden Herstellern kann man das Baujahr seines Instrumentes direkt erfragen, in vielen anderen Fällen hilft eine Internetrecherche. Zudem sind viele Nummernlisten in Buchform vorhanden und im Fachhandel käuflich zu erwerben.